Deutsche Umweltstiftung (DUS): Können Sie bitte kurz etwas über das Konzeptwerk Neue Ökonomie erzählen?
Andrea Vetter (AV): Das Konzeptwerk Neue Ökonomie ist seit 2011 ein unabhängiger, gemeinnütziger Verein. Wir sind der Überzeugung, dass die Wirtschaft dafür da ist, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Die derzeitige Art zu Wirtschaften verfehlt diese Ziele weit: Sie ist undemokratisch und instabil. Sie erzeugt Reichtum für Wenige, aber Ausgrenzung und Armut für Viele. Durch die Umweltzerstörung werden diese Ungerechtigkeiten noch weiter verschärft und unsere Lebensgrundlagen vernichtet. Doch bislang ist die Wirtschaftspolitik vom Wachstumsgedanken dominiert, von Konkurrenz statt Kooperation. Das liegt vor allem an Machtungleichheiten, die zu ungleichen Gestaltungsmöglichkeiten führen. So können diejenigen, die vom Wirtschaftssystem maßgeblich profitieren, ihre Interessen gegen die Bedürfnisse der Mehrheit durchsetzen.
Um dem zu begegnen, ist eine sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft dringend notwendig. Dafür gibt es keinen Masterplan: Wir verstehen uns als Teil einer Bewegung, welche viele Wege sucht und zusammenführt. Denn die nötigen Veränderungen sind vielschichtig und bedeuten eine weitgreifende Umstellung unserer Lebensweise.
DUS: Warum wurde die Degrowth Sommerschule gegründet?
AV: Das Konzeptwerk Neue Ökonomie hat zusammen mit einem großen Orga-Kreis die vierte Internationale Degrowth-Konferenz in Leipzig mit über 3000 Teilnehmer*innen organisiert. Danach haben wir darüber nachgedacht, wie wir das Thema Postwachstum weiter vermitteln können, und wie die theoretische Diskussion zu Degrowth stärker mit aktuellen politischen Kämpfen zusammengedacht werden kann. Unter dem Stichwort “Degrowth: konkret” hatten wir die Idee, Verbindungen zur Klimagerechtigkeitsbewegung zu suchen. So entstand die erste Degrowth Sommerschule, wieder von einem mehrheitlich ehrenamtlichen Vorbereitungskreis getragen, auf dem Klimacamp im Rheinland.
DUS: Was lernen Teilnehmer*innen bei Ihnen?
AV: Sie lernen in mehrtägigen Kursen einen oder mehrere Themenaspekte von Postwachstum intensiver kennen. Die Kurse werden von Expert*innen aus Bewegung, Praxis und Wissenschaft gegeben und legen großen Wert auf partizipative Gestaltung und die Anregung zu eigenständigen Auseinandersetzungen und Weiterdenken in der Workshopgruppe. Die Themen reichen von Stadtplanung über Sorgearbeit und Landwirtschaft bis hin zu Mobilität; einige sind stärker auf strategische politische Fragen orientiert, andere näher an der direkten Lebenspraxis von Menschen und etliche vermitteln auch neueste wissenschaftliche Forschung an ein breites Publikum.
DUS: Die Sommerschule fand letztes Jahr in der Nähe eines Braunkohletagebaus statt? Könnte man die Schule auch als politische Aktion ansehen?
AV: Die Sommerschule selbst ist ganz klar eine politische Bildungsveranstaltung. Sie findet aber bewusst immer auf einem Klimacamp statt. Denn das ganze Camp ist ein Ort, an dem Wissensvermittlung, lebensfreundliche und selbstorganisierte alltägliche Praxen und politische Aktion sich verzahnen. Die Sommerschule macht Mut, auch im Alltag eine postwachstumsorientierte Lebensweise zu pflegen und sich politisch zu engagieren.
DUS: Organisieren Sie auch anderweitige Veranstaltungen zum Thema Postwachstum?
AV: Ja, sehr viele. Von Einzelvorträgen über mehrtägige Workshops bis hin zu Multiplikator*innen-Fortbildungen arbeiten wir deutschlandweit intensiv zum Thema Postwachstum und sozial-ökologische Transformation. Wir publizieren auch zum Thema. So haben wir ein zweibändiges Methoden-Heft zu Wachstumskritik und Postwachstum herausgegeben: “Endlich Wachstum!”. Darin finden Lehrer*innen und Workshop-Leiter*innen Bildungsbausteine, wie sie selbst Veranstaltungen zum Thema durchführen können. Das von uns geschriebene Buch “Degrowth/Postwachstum zur Einführung” bietet einen umfassenden Überblick über den Stand der Postwachstumsdiskussion.
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