Die Dringlichkeit einer globalen ökologischen Wende ist unbestreitbar. Und dennoch ist die momentane deutsche Umweltpolitik ein unzureichendes Ergebnis, dass sich aus der Beeinflussung von ökonomischen Interessen und einer einseitigen Zielsetzung ergibt. Inwiefern muss eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft stattfinden? Das Magazin Westwind hat mit Prof. Dr. Udo Simonis über die Herausforderungen der Weltumweltpolitik gesprochen.
Westwind (WW): Udo Simonis, kann ein „Green New Deal“ die Welt retten?
Für die Welt als Ganzes ist der Begriff „Green New Deal“ bisher eigentlich nicht anwendbar: Die ökonomischen Interessen der Staaten sind höchst unterschiedlich und sie dominieren die ökologischen Interessen massiv; da gibt es noch keine echte Chance auf Parität. Was es aber gibt, ist die „Agenda 2030“, die 17 Ziele der Vereinten Nationen, von denen mehrere als „grüne“ Ziele bezeichnet werden können. Was Deutschland angeht, sind die Chancen eines Übergangs von der bisherigen „braunen“ Wirtschaft zu einer „grünen“ Wirtschaft in jüngster Zeit erheblich besser geworden. Ich würde aber ungern von einem „Deal“ sprechen wollen, sondern lieber ein Konzept mit Geschichte vorziehen: das der „Ökologischen Modernisierung“. Andere Wissenschaftler plädieren für eine „Große Transformation“. Für die EU könnte der Begriff „Green New Deal“ hingegen besser passen, weil zwischen ihren 27 Mitgliedsländern ja in der Tat intensiv verhandelt – „gedealt“ – werden muss, um grüne Programme und Projekte überhaupt realisieren zu können.
WW: Was ist aus wissenschaftlicher Sicht wichtig, damit Umweltpolitik gelingen kann?
US: Nur eine intakte Umwelt kann Garant und Grundlage unseres eigenen langfristigen Überlebens sein. Umweltpolitik bedarf deshalb grundsätzlich der Empathie mit der Natur, der Liebe zu und des Respekts vor Flora und Fauna. Umweltpolitik bedarf zum anderen des intensiven Bemühens um den gesellschaftlichen Konsens über die anzustrebenden Ziele, die geeigneten Instrumente und die angemessenen institutionellen Rahmenbedingungen – sowie der ehrlichen Erfolgskontrolle, was die Politikergebnisse angeht.
WW: In manchen Sektoren sind weit schnellere Veränderungen in Gange, als in anderen. Was sind die Gründe dafür?
US: Ob eine ökologische Modernisierung, eine große Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft wahrscheinlich wird, ist von einer historischen Erfahrung eingegrenzt: Es gibt immer (oft) Vorreiter, aber auch (viele) Nachzügler und (zahlreiche) Sitzenbleiber. In manchen Sektoren können die Nachzügler und Sitzenbleiber rasch mobilisiert werden – in anderen werden sie zu versteinerten Blockierern. Die Geschichte der Umweltpolitik zeigt aber auch, dass und wie schnell man lernen kann: Gute Kommunikation war hierbei zumeist der entscheidende Faktor.
WW: Auf internationaler Ebene stoßen Vorschläge wie die Gründung einer UN-Umweltorganisation auf großen Widerstand. Auch bei vielen Menschen scheint die Angst vor dem eigenen Verzicht groß zu sein. Wie kann man eine positive Vorstellung einer großen Transformation verankern?
US: Individuen, Organisationen und Staaten haben starke Einzelinteressen – und das wird wohl auch so bleiben. Es gibt aber auch Gesamtinteressen, solche, die länger schon da waren und andere, die neu entstehen. Der Schutz der Natur ist seit gut 150 Jahren ein gesellschaftliches Anliegen – und das wird größer werden, wenn man die neuen Gefährdungen der Natur besser und schneller erkennt. Beim stratosphärischen Ozonloch hatte man die Gefahr schnell erkannt – und es wurde rasch gehandelt („Montreal Protokoll“). Beim Klimawandel ist die Gefahr erst durch intensive wissenschaftliche Arbeit (auch in Deutschland) erkannt worden – und man hat, nach langen Geburtswehen, zu einer internationalen Vereinbarung gefunden, dem „Paris Abkommen“, das nun in der praktischen Umsetzung harrt.
Die Corona-Pandemie hat die Notwenigkeit und Dringlichkeit einer globalen ökologischen Wende in den Fokus gerückt: „Wer achtlos das Virus weitergibt, gefährdet das Leben der Eltern und Großeltern; wer achtlos Kohlendioxid freisetzt, gefährdet das Leben der Kinder und Enkel“. Diese fundamentale Erkenntnis verdeutlicht, dass es in beiden Fällen – der Klima-Krise und der Corona-Krise – um Generationengerechtigkeit und um wechselseitige Solidarität gehen muss.
WW: „Umweltpolitik muss sein wie eine Wassermelone: Außen grün und innen rot“. Kannst Du mit dieser Aussage etwas anfangen? Wenn ja, wie lässt sie sich aus Deiner Sicht mit Leben füllen?
US: Ja, das ist eine schöne, animierende Metapher in dem Sinne, dass Grün und Rot unbedingt zusammengedacht werden müssen. Eine „Weiter-so-Politik“ darf keine Option mehr sein. Nachhaltigkeit (sustainability) und Resilienz (resilience) sind jetzt Thema. Von der Umweltwissenschaft sind dazu drei fundamentale Ziel-Kategorien entwickelt, drei Groß-Aufgaben begründet worden, um die es in der Welt, in den Industrieländern und damit auch in Deutschland in Zukunft gehen sollte und gehen muss: um „De-Karbonisierung“, „De-Materialisierung“ und um „Re-Naturierung“ .In verständlicher Fassung ausgedrückt: rasche Reduzierung der CO2-Emissionen, drastische Verringerung des Ressourcenverbrauchs, Stopp der Vermüllung, Rettung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt.
WW: BSE verringerte den Fleischkonsum, Fukushima führte zum Atomausstieg in Deutschland, Corona lässt Zweifel an der globalisierten Produktionsweise aufkommen. Braucht es große kollektive Schreckmomente, um ökologisch Fortschritte zu machen?
US: Lester Brown, der große Welt-Denker, hat diese historisch bedeutsame Frage einmal auf knappste Weise beantwortet: „Pearl Harbor, Berlin Wall, Sandwich“. In meine Worte gebracht: Katastrophe, historisch günstige Gelegenheit, bestmögliche Zusammenarbeit.
WW: Es wird kritisiert, die deutsche Umweltpolitik sei zu technologie-orientiert. Stimmt das?
US: Umweltministerium, Umweltbundesamt, Bundesregierung repräsentieren – und ihre Reaktionen auf die Corona-Pandemie haben es erneut bestätigt – in weitem Maße eine technologie-orientierte, eine technologie-dominierte Zukunftssicht. Man denkt zwar an die Zukunft, schnürt „Konjunktur- und Zukunftspakete“, aber Mensch und Natur werden dabei weitgehend vergessen. Es gibt sie aber, die human- und naturbasierte Sicht der Welt: Es gibt beispielsweise die UN-Biodiversitätskonvention; es gibt eine Waldoption in der Klimapolitik; es könnte auch eine ökologische Landwirtschaft geben und man könnte mehr Empathie der Politiker mit der Natur erwarten – und sie bei der Bevölkerung einfordern.
WW: Es gibt auch positive Meldungen: Der Fleischkonsum geht zurück, mehr Menschen fragen sich, wie sie handeln sollen, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Gibt es seitens der Wissenschaft konkrete Handlungsvorschläge, nach denen sich die Politik und die Einzelperson richten kann?
US: In der Umweltwissenschaft gibt es nicht nur die Debatte über die oben zitierten Ziel-Kategorien; es gibt auch eine große Debatte über die sinnvollerweise zu nutzenden Strategien der Umweltpolitik – über ein Dreieck von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. In den meisten Verlautbarungen, Positionspapieren und Gesetzesvorhaben der praktischen Umweltpolitik findet man immer wieder den Begriff Effizienz, fast nie den der Suffizienz – und nicht einmal den der Konsistenz des Handelns. Das ist höchst bedauerlich. Denn unsere Gesellschaft macht ja zurzeit – in der Corona-Krise – große Erfahrungen und vielfältige und interessante Versuche bei der Frage, ob Suffizienz (Genügsamkeit, Einfachheit, Schlichtheit) nicht auch strategisch wichtig sein kann bzw. in Zukunft sein sollte.
WW: Was ist der Tipp für jemanden, der sich für die Umwelt einsetzen möchte?
US: Viel lesen, sorgfältig nachdenken, eifrig diskutieren und praktisch handeln; auch Greta Thunberg und die Freitags-Bewegung begleiten, auf dass daraus ein neues, zupackendes politisches Motto werden möge, wie etwa: „Whole Week for Future!“
Udo Simonis ist emeritierter Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Als Doktor der Ökonomie war er als Berater in der Landesentwicklung Sambias aktiv und forschte später am Institut für Entwicklungsforschung an der Universität von Tokio. Er wurde 1974 Professor für Ökonomie an der Technischen Universität Berlin (TU) und 1981 Direktor des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft (IIUG) am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Seine Forschungsschwerpunkte sind der ökologische Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft und die Weltumweltpolitik. Als Mitglied in vielfachen wissenschaftlichen Gremien wie dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), dem Kuratorium des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und dem Committee for Development Policy (CDP) der Vereinten Nationen (UN). Auch als Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Umweltstiftung war er lange Zeit aktiv.
Foto: © Udo Simonis