Die Wirtschaftswissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Kemfert spricht über das Wachstumsparadigma und mögliche Handlungsoptionen, die zu mehr Nachhaltigkeit führen können.
Änderung von Konsummustern?
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Unsere Kampagne fordert ein Ende des maßlosen Konsums. Dies würde sich auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Was denken Sie, brauchen wir Wirtschaftswachstum? Warum bzw. warum nicht?
Claudia Kemfert (CK): Wachstum ist eigentlich etwas Wunderbares – nicht nur in der Kindheit wachsen wir, sondern unser ganzes Leben lang. Menschen, Tiere und Pflanzen sind Teil eines ewigen Kreislaufes aus Werden und Vergehen. Leben ist Wachstum. Die Erde ist über Milliarden von Jahren zu dem gewachsen, was sie heute ist. Und sie dreht sich immer weiter. Wäre das Wirtschaftswachstum ähnlich organisiert, würden wir uns darüber freuen.
Problematisch ist ein ungezügeltes Wirtschaftswachstum, das den Planeten zerstört statt ihn zu beleben. Wir müssen das Wirtschaftswachstum vom fossilen Energieverbrauch entkoppeln. Und wir müssen uns abgewöhnen, das Wirtschaftswachstum als Maßstab für Wohlstand zu definieren. Statt vor der Tagesschau Börsenkurse zu zeigen, sollten wir lieber die Indikatoren der Nachhaltigkeit unseres Planeten erfahren: Ressourcenverbrauch, die Sauberkeit der Luft oder der Anteil erneuerbarer Energien.
Wachsender Umweltschutz, wachsende Gesundheit, wachsender Zugang zu sauberem Trinkwasser und sauberer Energie hingegen sind wünschenswert. Der wachsende Einsatz von beispielsweise erneuerbarer Energien, klimaschonender Mobilität, steigender Gesundheitsvorsorge sowie Techniken zur Herstellung von sauberem Trinkwasser kann für wachsenden Wohlstand sorgen. Dann wäre Wirtschaftswachstum nicht die Ursache eines globalen Klimawandels, sondern dessen Lösung.
DUS: Sind die Klimaschutzziele und uneingeschränkter Konsum miteinander vereinbar? Sollten wir unseren jetzigen Konsum einschränken?
CK: Auch hier ist die Frage: Konsum von was? Konsum, der zu Überfischung, Vermüllung und Zerstörung der Erde führt, muss natürlich aufhören und zwar sofort! Aber wir werden die Treibhausgase nicht allein über Verzicht um 95% reduzieren. Ein solches Ziel scheint unerreichbar fern. Wir müssen den Menschen einen machbaren Weg zeigen und dafür auch politisch die Weichen stellen. Statt Askese zu predigen und zu üben, sollten wir uns freuen: Mit Klimaschutz bleibt die Welt lebenswert. Klimaschutz macht Spaß. Und nachhaltig konsumieren ist einfach.
DUS: Was braucht es, um das angestrebte 2-Grad-Ziel zu erreichen? Denken Sie, es ist machbar, dieses Ziel zu erreichen?
CK: Sicher ist das machbar! Es bedarf aber eines kompletten Umsteuerns in allen Bereichen: Ab sofort muss jede Investition statt in fossile in erneuerbare Energien fließen. Das Motto lautet: „Renewables First“! Also Schluss mit Subventionen für fossile oder atomare Energien. Stattdessen müssen die Folgeschäden endlich eingepreist werden. Wenn Öl, Gas und Kohle so teuer wären, wie sie es in Wahrheit sind, werden die Leute mit großer Begeisterung auf Wind, Wasser, Sonne und Geothermie umsteigen. Wir brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte für attraktive Investitionen in die globalen Energiewende. Das ist der Anfang und mit dem entsprechenden politischen Willen leicht umzusetzen. Dann geht’s weiter mit dem nächsten Schritt: Alle Produkte müssen nachhaltig und recycelbar sein. Die Mobilität sollte öko-elektrisch und klimaneutral sein. Auch das kann man durch entsprechende Rahmenbedingungen ermöglichen und einen Wettbewerb klimabewusster Ökonomie in Gang setzen.
Handlungsmöglichkeiten zu mehr Nachhaltigkeit
DUS: Effizienz, Suffizienz und Konsistenz gelten als Strategien der nachhaltigen Entwicklung. Wenn Sie diese Strategien gewichten, wie würde das aussehen und warum?
CK: Das Problem an solchen Begriffen ist leider immer, dass man sich erstmal verständigen muss, was damit gemeint ist. Dabei ist doch klar, dass wir – nach über 40 Jahren Diskussion über die Grenzen des Wachstums, über Umwelt- und Klimaschäden als Folge unseres Wirtschaftens – jetzt endlich handeln müssen.
Effizienz, die Vermeidung von Verschwendung, also mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch ans Ziel zu kommen, ist dabei natürlich wichtig. Andererseits neigt der Mensch dazu, ständig mehr zu wollen. Das führt zu sogenannten Rebound-Effekten. Autos beispielsweise verbrauchen heute theoretisch weniger Sprit als früher, tatsächlich aber verbrauchen sie mehr, weil sie größer und schwerer geworden sind und mit Klimaanlage und elektronischem Service unterm Strich einen höheren Energieverbrauch haben als die Spritfresser früherer Jahrzehnte.
Suffizienz, Genügsamkeit, ist deswegen der logische nächste Schritt. Oder anders gesagt: Verzicht scheint unverzichtbar. Wir brauchen ein Konsumbewusstsein, das den realen Bedarf hinterfragt und vor allem die jeweiligen Folgen eines bestimmten Konsumverhaltens einbezieht. Wenn wir nicht von selbst aufhören, immer mehr zu brauchen, müssen wir eine klimaverträgliche Obergrenze definieren. Eine Art CO2-Budget ist sinnvoll: wenn jeder Mensch nur noch 6,5 Kilogramm CO2 pro Tag ausstoßen darf, dann wird er lernen, wie er mit weniger zurecht kommt. Jedes Land ist gefordert, dass dieses Klima-Budget nicht überschritten wird und muss dies mit entsprechenden Maßnahmen umsetzen.
Konsistenz, Kreislaufwirtschaft, also eine Welt ohne Abfälle, in der alles wiederverwertet wird, ist ein verlockender Gedanke. Die Natur macht es uns in wunderbarer Weise vor. Bislang gelingt es uns nur, die Lebensdauer von Rohstoffen im Verwertungsprozess zu verlängern, von echten Kreisläufen kann kaum die Rede sein. Es wird zwar viel von „Re-Cycling“ gesprochen, aber vollkommene Kreisläufe sind noch Utopie.
Deswegen ist die Strategie-Diskussion nicht hilfreich, erst recht nicht die Frage, welche der Strategien die beste ist. Derzeit sollten wir alle drei Wege beschreiten, gleichzeitig nebeneinander oder am besten miteinander verzahnt. Hauptsache, wir kommen endlich mit großen Schritten weiter!
DUS: Wie schätzen Sie die Handlungsmöglichkeiten der Politik ein? Wie kann/muss die Politik dazu beitragen, Suffizienz zu verwirklichen?
CK: Die Verantwortlichen in der Politik sind genauso gefragt wie jeder einzelne Mensch. Es geht vor allem darum, jegliches Wirtschaften komplett auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz auszurichten. Dies braucht einem bunten Strauß an Instrumenten aus Ordnungsrecht und ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Politik muss die Instrumente bauen und zur Verfügung stellen; die Menschen müssen dann verantwortungsbewusst, kreativ und harmonisch auf ihnen spielen.
DUS: Was denken Sie über die Bewegung “Scientists for Future”? Unterstützen Sie die Bewegung?
CK: Ich habe als eine der Erstunterzeichnerinnen den Appell unterzeichnet unterstütze die Bewegung und war bisher auch beim March for Science dabei. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse in die aktuelle Debatte einzubringen und auf die Dringlichkeit des Handelns hinzuweisen. Die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“ fordern völlig zu recht viel ambitionierteres Handeln ein, sie sind die Betroffen. Die Wissenschaft liefert seit über 40 Jahre wissenschaftliche Fakten, die Politik reagiert zu zögerlich und zu spät. Wir haben keine Zeit mehr. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.
DUS: Sie arbeiten in einem Institut. Warum haben Sie sich für dieses Institut entschieden und was denken Sie, ist die Rolle des Instituts in der nachhaltigen Entwicklung?
CK: Wir liefern seit über 15 Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse zum besseren Verständnis, welche ökonomischen Konsequenzen ein ungebremster Klimawandel und auch Klimaschutzmaßnahmen haben werden. Die Rolle der Wissenschaft ist eindeutig: wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in der Politikberatung und in der öffentlichen Diskussion eingebracht werden.
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